disturbed cycles
I
äußerst behelfsmäßige hülle in der ich mich
heute aufhalte, aber tragfähig, also bilden wir
eine wechselnde v-formation und ziehen
über den himmel. seht: grellgelbe blütenstände
großflächig angelegt, dies also wird unser erbe sein.
die analyse-maschinerie spuckt noch nichts, nichtmal
ein muster und meine angebliche anomalie sitzt mir
bissig im nacken, zwingt mich zum landen.
wollen wir uns hineinlegen ins schäfchenfellimitat,
mit blicken diesen lichtfeldern folgen die der
nächststehende stern an die zimmerwand wirft?
ich habe eine decke gewebt,
die reicht heute über uns alle.
Patrick Schild
blutkörperchen
vater klopfte nie den herbstwind
aus dem mantel hängte ihn ins haus
als kinder lauschten wir dem sausen
der windhunde in seinen taschen
wenn wir mit weich gefeilten nägeln
blätterten in alten fotoalben in
denen die vertrauten bilder gilbten
in colloquien von wind und weinen
ahnten wir der samen setzt sich fort
in unserm schreiben selbst wenn wir
im abstrakten bloß uns wähnten und
dem mond die blutkörperchen zählten
Samuel Kramer
[Suche]
I
Suche zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen Raum für meine Wut,
möbliert.
Dringend. Ferner Klang, der sich beweisen lässt.
Prämisse 1: Eine Anzeige, knapp, bittend.
Prämisse 2: Von Wasser umgebene Städte.
„Suche“ ist ein nasses Wort, das jede Form der Präzision aufweicht.
Ich erschaffe den Tisch, die Zeitung darauf, das Tropfen
von der Decke. An einen Aufruf, auf einen Anruf: stellt Tassen darunter.
Explosionen werden, wenn überhaupt, in der Postproduktion eingefügt,
wie Schreie aus dem vergangenen Jahrhundert. Es bleibt unterträglich leise,
das Bildinventar spärlich. Geschirr enthält das Rauschen
aus dem zusammengebrochenen Schrank.
II
Besichtigung der Verhältnisse. Rissig, nicht riesig.
Im Flur hängen Plakate. Auflaufformen stapeln sich im Waschbecken.
Ich denke an alles. An Schimmelbildung.
Ich vergesse zu erwähnen, dass ich bereit bin, zu teilen.
Ich bin stubenrein, unkompliziert, genau, und ziehe Verwüstung
erklärtermaßen der Verwohnung vor. Ich teile wirklich gern.
Ich bin jemand, den die Stille zu schätzen weiß. Selbst die Ruhe.
In der Abstellkammer summen Schaubilder, teilweise kanonisch,
die Ausrufezeichen ruhen sich auf ihren Mehrheiten aus.
Wieder daheim zerteile ich Pressspan
mit unbrauchbarem Ergebnis
im Rahmen meiner täglichen
reductio ad absurdum.
III
Was zu beweisen war: Untergang. Oder war es unvergangen?
Das klingt falsch. Nach wiederholter, trockener Aussprache
kann ich sagen: Das klingt nicht richtig. Wovon ich ausging,
schon vor meinem Gesuch: Es lässt sich sozusagen nicht verhindern.
Es so zu sagen verhindert gar nichts. Es hallt von den Wänden
eines sonst leeren Raumes wider. Die Akustik ist dement-
sprechend. Es kleben Essensreste an den Tellern, die würd ich nicht
werfen. Nicht, bevor sie gespült sind. Nicht vor den Gästen, selbst
wenn ich die erst noch einladen muss, in einen Raum,
der seinen Ursprung vergessen hat. Worin das Wasser steht
und mir beim Schreien in die Ärmel dringt.
Regina Menke
zu tragen:
ungefähr eine Ordnung, ungefähr eine 8. misstraue ihr nicht. der Ort, an dem sich Spuren zu Kreisen verziehen, ist dünn. wie viele Jahre braucht ein Körper, bis er aussieht, als habe er so viele Jahre gelebt? schlage ich Gruben in Wände, vermute dort Schutz. warte Innen, zu lernen, was zum Namen nicht zählt / was als Bleibe nicht reicht. da war von verschobenen Winkeln die Rede / einer geraden Gestalt, die so gerade nicht ist. einem Krug, der an seiner Leere fast bricht. einem Boden wie Sprache, die nicht merkt, was sich darunter verschiebt. wie verhält sich die Länge des Morgens zur Neigung des Feldes / dem Verschleißgrad der Schar eines Pflugs? messe ich nach, führe Eichungen durch. was ich taste, reicht bloß ein paar Stunden voraus. halte ich Abstand zu Stimmen / den Stellen, wo ich sie bewahr. reden sie mir, rede ich ihnen gut zu:
üben Sie sich im Betrachten Ihrer Umgebung als Landschaft. justieren Sie im Fall verschwommener Ränder nicht nach. trennen Sie Schichtungen vom Vorgang der Schichtung, Erde von dem, was Erde umgrenzt. verkehren Sie Ihr Rückgrat zu Füßen, Ihre Wut zum Gehöft. treten Sie Ihren unheimlichsten Hoffnungen unter die Augen. seien Sie Ihrerseits listig. mal ganz unter uns: was Sie Haut nennen, war gestern noch Leibchen, jetzt Schnee.
Annika Böttcher
ausgeflockt, eingelegt
schnee.
im januar ein bild im feld.
man müsste das schweigen schreiben können. den sturm in worte fassen. und spätabends im dunkel daliegen, die wärme fremder hände ganz nah, die härchen im rücken
aufgestellt. ich will mich verlassen können:
dass der zug noch heute nacht entgleist,
dass wir im gestöber liegen, dicht beieinander,
dass wir warten, darauf,
dass es frühling wird. und dann: dass eine von uns geht, durch den schnee, und keine spur hinterlässt, einfach so.
man müsste den himmel in streifen schneiden: halte dir die geöffnete hand vors gesicht, dann hast du das finster in stücken.
und die flocken fallen auf einmal
in teilen. dazwischen schwebt man selbst – die fremde hand im rücken jetzt vor sich sehen, ungenau, ihre verschwommene
bewegung. wo
bist du gewesen?
im wind biegen sich die halme ins gegenlicht. nachtstill lauscht im feld der januar auf seine bedingung:
schnee.
da knie ich mich hinein: in die knisternden kissen aus gras. in
die begrenzung,
ausgeflockt,
eingelegt.
die beine im liegen jetzt eng angewinkelt. durch den saum des kleides drängt die kälte schon vor bis zur brust. das mache ich nur, solange die räder sich noch drehen, solange der zug noch rauscht wie das blut in meinen ohren auf dem weg in die dunkelste kammer. die reisenden sprechen in bildern ohne rahmen. was will ich fassen, mit einem körper neben meinem, mit fingerspitzen,
die sich tastend in mich senken?
– jetzt spür ich mich.
für den fall, dass du gehst: beuge dich tief in den frühling hinein, in die zierlichen knospen, in das zittern
der stille. sieh nach, ob die räder sich noch drehen, aber hinterlasse keine schatten auf den gleisen.
ich will dich nicht wiederfinden können.
manches muss man schließlich auch verlieren dürfen.
der wind verweht das haar: hier und da, auch dort, nistet noch immer meine sehnsucht. sag mir keine worte mehr, sprich zu mir in gesten. führe die hand vor augen zum mund. schlucke den winter in stücken, vergiss, dass du erinnern musst,
um zurückkehren zu können. wenn nicht jetzt, wo sonst
willst du das verstummen lernen?
es ist doch hinderlich, so in sich selbst zu ruhen, so bei sich zu sein.
gib mir dein wort:
dass du mich nicht fängst, wenn ich aus mir falle. wenn ich
über mich hinaus gehe, wenn ich um mich greife, weil du am horizont stehst
und das eis in rissen hinter dir den halmen
deine träume aufgebürdet hat.
im schnee: meine hände,
die sich falten zu flügeln, wenn du gehst.
wundere dich nicht, flüstere ich spätabends im splitternen dunkel,
wenn am morgen auf den gleisen federn liegen.
Sophia Mariléne Merwald
es begann mit dem b, der freie einheit hieß vom tal aus erwachsen hoch und höhere hügel sich gebärdende gipfel formen im schlusswort: kuppe oder spitze verbergen die aussicht und vieles dahinter bleibt möglich davor schwebt man bloß als augenpaar steht man geschrieben für das wartende panorama dort droben außer sichtweite regrediert der gipfelturm zu einer ameise die kitzelt meinen rücken den haarigen hügel im nacken der steigerwille den vogelwunsch die wirbel weit aufgeschlossen wölbung nach innen und nach außen im flug empor zu den stacheln einmal an den wolken kratzen // nun werde ich zu ihrer schwester mit rundungen um nabel und knie gesäumt nur teilbar in nähte und ferne ich male meine initialen in das dach in das blaue von oben tragen gebirge nur glückliche gesichter das lichten einzelner schichten beginnt zuerst ab dem sprechenden gletscher
Liza Wandermaler
Aufgebrochen
Es gibt keine Formen mehr. Sei, wer du immer schon warst. Doch öffnest du dich einmal, streichelt die Hand des Andern über die rauen Stellen deiner Konturen, die früher diktierten, wie und wo du zu enden hast. Aber du lächelst nur, während dein nächster Schritt, federleicht, doch bestimmt auf eine Fliese trifft, die dir verboten war.
Liv Thastum
Szene 1
eine Familie filmt Linien an der Grenze
zum Beispiel blaue Fensterrahmen oder
den orangenen Staub von Красногорівка
Füße auf das Gras, etwas aufheben vielleicht
sie warten auf den wieder Hall
in den Einschusslöchern
kann man kleine Schrauben verstecken
im Schatten der platten Bauten
fährt das Spielzeugauto einen Strich
durch den Rücken der Großmutter
sie denkt an –
da wieder Hall in den Einschusslöchern
viele sind gegangen und
die Stadt hat sich leer geseufzt
wegen dem was ist und war und
dem davor und hier spielt die Katze
im Müll die abgeschnittenen Haare
und da wieder Hall
hohes Gras wuchert über Spielplätze
mit vielen Löchern und weniger Schrauben
länger wird die Kellerstunde und denkt:
die Welt ist blau wie eine Orange
Als Reaktion auf den ukrainischen Dokumentarfilm „The earth is blue as an orange“(2020) von Iryna Tsilyk
Luca Skarupke
alles muss in die gläser
wir gehen
anschauen und abreissen
lassen hinter uns:
das frühstückszimmer, eigentlich
hättest du das hörnchen angebissen
vor deinem ersten bier
schnell raus
wir müssen den park sammeln gehn
und alles was sonst noch passiert
auf dem kottbusser damm
du mit den augen
ich deine hände
auf dem gehsteig
an den wänden des viertels
du mit dem mund
ich deine hände
du erklärst mir die flächen
die nervenden leute
anhören: was dich schmerzt
aufmachen: wo du rein willst
ich belle für dich
ich trete zur seite
du stopfst jeden tag in ein glas
deine ganze wohnung ist voll davon
kaum zu betreten
nur die tische frei
in der küche sei
es einmal sauber gewesen
sagst du
aber was die tage rein kommt
darf nicht raus
nichts wegschmeissen
nichts aufessen
alles muss in die gläser
die du aufmachst in gesprächen später
ersatzweise
in den kneipen in den galerien
seit du vor ein paar jahren
nach einem sekundenschlaf
für monate nicht erwacht bist
bist du tagesgierig
aber wochenblind
wir holen die welt
zu dir nach hause
und schließen luftdicht ab
reihen sie auf
jedes glas
soll für dich
einen weg zurück bedeuten
Slata Roschal
Ostersonntag
Ein leichtes Dasein schwebt mir vor
Als Stillleben mit Kröten und Narzissen
Und dann der Schnee im Fenster gegenüber
Auf Seide eingerahmt zur Schau gestellt
Lässt man ihn liegen bleibt er bis zum Herbst
Trägt man ihn fort dann schmilzt er binnen Tagen
Ist unser Herr nicht heute auferstanden
Zerdrückte und zermalmte Eierschalen
Färben die Zähne weiß rot blau und gelb
Es riecht nach Bier und tönt nach Chor
Alleinsein nimmt dem Körper jeden Wert
Ob heil oder zernagelt fades Dasein
Ich schlage Almosen ins Fenster gegenüber
Und schaue zu