Liz Preuss

Karpaty // Blau fahren

Nimm diesen letzten blauen Zug durchs grüne Land
fuhr mancher schon (niemand wie du)
die Tasche ein Leben schwer
das ist die Eiche
das ist die Buche
das ist die Höhe, in der dein Herz schlägt
jetzt schon weniger
nicht fahren zum Ankommen
lass die Fingerspitzen am Fenster zurück

Die Zehen tasten dein altes Gegenüber
mit faltigen Händen und flüsternden Augen
das stumme H umarmend, die Lippen hängen am Innen von gestern und wie es neblig nachgeht
das ist sein Land, kein Halm Hoffnung
an der Schafweide rollen die Tränen
in Zuggeschwindigkeit

Also nimm sein letztes Hemd,
auch ich stahl ihm strahlend die Sonnenblumen
auf dem Wilden Feld bewarf ich die Sterne mit Kernen
sie knipsen im Mondschein Städte aus
Ptashynyy, da muss ich dir leider die Flügel brechen
lektion eins: Europa und das Fliegen lernen

Im Ra-ta-ta-tat
ein bisschen fluid sein, ins Tal hinabrennen
seufzend im Synwyr münden
seit acht Jahren hier Wasser schlucken
heute am Grund „Ertrinken“ prusten
blutrot im Herzen
rinnt es Gelb aus der Sonne
blau aus dem See und dem Sehnen
wir werfen nach, besorgte Blicke raunen
weil Bären schwimmen besser
in Nestern und Rettungsringen
lektion zwei: erkenne echte Launen


Was willst du machen
diesen Blumenkranz des Alten
ein Kranichheim bauen oder nochmal Alpen
schmecken schon lange nach Rauch,
zu Dunst verlesen lassen
mit Rücken auf Moos in Granatsplittern

Nimm dir das Kleid aus Korn und Öl
das war dein Land, die Glockenblume
läutet lila unsagbar Heimat
Karpaty, du siehst ja gar nicht anders aus
küss mir den Berghain für die Lilien
mein Schatz, wir sitzen im Glashaus

Ronja Lobner

Femme Maison

Man steht da, versunken in den dagelassenen Dingen, derer die zu Besuch waren. Tassen auf dem Tisch. Oder der Tisch überhaupt. Die Farbflecken und Kopfschmerzen. Die Beulen und Risse in der Wand, die Andeutung an einen mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Menschen. Man betrachtet das Innenleben: Die Kacheln, Geschirr und die Flecken. Raum sein heißt, dass in dir etwas stattfindet.

Man steht da, kocht eingebettet in Tapeten. Es ist rau, Staub schliert sich geleeartig. die Wände sind Grenzen zwischen Leben. Umschließen eins. Man bleibt in Ruhe. Knatscht. Hier drin wird Grießbrei gerührt, nachgedacht über Arten sich umzubringen, geraucht und gewachsen und queerer Sex gehabt. Man steht da und schnieft und schreit. Aber es ist immer der gleiche Raum in den man schaut-

Man steht da und trägt einen Hammer. Man will damit Wände zerschlagen oder Köpfe und dann tiefer dringen. Es entsteht ein Loch in dem, was zwischen den Menschen passiert. Wände waren es, die schützen. Aber es war ein bestürzendes beengen. Durch das Loch erkennt man Weite. Es ist das gleiche Heim, nur jetzt sieht man den Himmel. Alles schwindelt.

Es braucht nur die Möglichkeit zu gehen, um es nie zu tun

Lara Krejci

Das große Loch

Am hellsten Tag gruben wir uns ein Loch und krochen hinein
es wird uns beschützen, damit wir frei sein können
du wirst es schon noch verstehen
wir setzten uns hinein und starrten den blauen Himmel an
am Tag und auch in der Nacht konnten wir die Sterne sehen.
wir haben in diesem Loch
dann die ganze Freiheit der Welt
und eine Küche gebacken aus den Erdklumpen die wir warfen
auf die, die uns unsere Freiheit stehlen wollten
denn sie alle sind neidisch
auf unsere freien Wände
und freien Gespräche
und unsere freien Brotstücke
und auf das Loch
das unsere Freiheit beschützt
verstehst du?
Also musst du tiefer graben
tiefer hinein
so dass dich keiner mehr erkennen kann
uns dann wird niemand sie uns jemals stehlen
und wir werden immer frei sein.

Katia Sophia Ditzler

WIR SIND ZURÜCK

wir werden unsere Goldringe beim Leihhaus verpfänden
wir werden keine guten Preise aushandeln können
der Ring meiner Großmutter wird einen Monat Brot wert sein
wenn wir ihn nicht vorher verloren haben

wir werden die Städte wieder aufbauen
sie werden schöner sein als jemals zuvor
Ich habe jetzt ein rotes Kleid
das zu keinem Anlass mehr passt

ich koche ein Abendmahl
aber es kommen keine Gäste
meine Seele ist verwandelt in einen toten Briefkasten
jeder Spion darf sich bedienen

ich trage die Reste anderer Tage bei mir
ich bin verrückt geworden, in meinen Augen ist Glanz
ich würde ja Grabräuberin werden
die Beigaben lassen heutzutage zu wünschen übrig

ich deute die Kumuluswolken falsch
ich war noch nie gut darin das Wetter vorherzusagen
aber ich hänge mich überall hin
wohin der Wind sich dreht

du sagst, du fürchtest dich vor dem Kommenden
ich sage, immerhin wirst du nicht hingerichtet
Higgs-Bosonen als Nachtwächter des Sagbaren
zu viel verdorbene Materie, ich gebäre frische Atome

nimm Asche in den Mund und denke nicht nach
ich kann Berge essen wenn man mir genug Zeit gibt
ich lasse mich belagern
ich habe genug Wasser und Vorräte